Wie eine Fast-Wahrheit die Tür öffnet für einen Haufen falscher Informationen
Vor ca. 5 Jahren las ich das Buch The Journey von Brandon Bays. Mir war schon vorher klar gewesen, dass dem Zulassen von Gefühlen eine Schlüsselfunktion zukommt im Prozess der Persönlichkeitsentwicklung und ich erhoffte mir von The Journey weitere Aufschlüsse.
Die Folge dieser Lektüre war aber, dass mich das Buch jahrelang innerlich beschäftigte. Es machte mir Angst. Es verband sich mit meiner eigenen Angst vor unheilbaren Krankheiten und verstärkte diese.
Die Psyche des Menschen hat ähnlich wie der Körper eine Art Selbstreinigungsfunktion. Diese bringt bestimmte Störfaktoren wie falsche Ideen und falsche Informationen immer wieder nach oben, damit sich der Inhaber dieser Psyche damit auseinandersetzt und die Widersprüche aufklärt.
Für mich war vor allem das Problem, dass ich mich nicht in der Lage sah, diese Methoden von Brandon Bays für mich selbst anzuwenden. Angenommen, mich ereilte eine solche Krankheit: Ich wusste, dass „in mich versenken“, „Lagerfeuer-Vorstellungen“ und „Gespräche mit fiktiven Personen am Lagerfeuer“ für mich keine Lösung waren. Ich konnte und wollte solche Dinge nicht. Mein ganzes Wesen sträubt sich gegen geistige Gymnastik dieser Art.
Da war also das Buch The Journey von Brandon Bays, das sagte „diese Krankheiten können heilen“ und „Gefühle sind der Schlüssel“, aber ich war den Methoden nicht gewachsen. Für mich sagte das Buch vor allem eines aus: „Es mag Lösungen für andere geben, aber nicht für mich.“
Und so ging es mir mehrere Jahre lang mit diesem Buch – bis ich eines Tages die wahren Zusammenhänge zu sehen begann. Fast zeitgleich konnte ich meine eigenen Angst vor unheilbaren Krankheiten überwinden.
Brandon Bays hatte ihr eigenes Problem auf rationaler Ebene nicht gelöst. Die Lösung war so einfach, dass ich einen Lachanfall bekam, als ich es zu sehen begann. Dankenswerter Weise hatte Brandon Bays in The Journey alle Informationen geliefert, die Sachlage auf die richtige Weise zu entschlüsseln.
Doch bevor ich das aufkläre, möchte ich hier kurz auflisten: Was an The Journey stimmt und was stimmt nicht?
- Ja, dem Zulassen von Gefühlen kommt im Entwicklungsprozess des Menschen eine Schlüsselfunktion zu
- Ja, auch viele der als unheilbar geltenden Krankheiten sind heilbar
Aber:
- Die Lösungen für die Probleme der Gegenwart liegen nicht in der Vergangenheit
- Die Lösungen für die Probleme der Gegenwart sind keine weit entfernten Erlebnisse, sondern ganz naheliegende, ganz einfache Wahrheiten, die sich auf die Gegenwart beziehen
- Es braucht keine komplizierten Methoden wie The Journey mit Visualisierung, Lagerfeuer und Gespräche mit fiktiven Personen, um Probleme der Gegenwart zu lösen
- Es braucht keine Tiefenentspannung und kein in-sich-versenken, um Gefühle in den Fluss zu bringen
- Für die Lösung seiner eigenen Probleme braucht man weder bestimmte andere Menschen wie Brandon Bays noch bestimmte Methoden wie The Journey. Denn das ist das Resultat solcher spezifischer Methoden: Sie schaffen Abhängigkeiten und entfernen einen Menschen von seinen eigenen ganz natürlichen Fähigkeiten.
- Der Prozess des durch die Gefühle Gehens in der Form wie ihn Brandon Bays beschreibt – kann zwar so passieren – ist aber nicht typisch für den Umgang mit Gefühlen, sondern schränkt die Vorstellung vom Umgang mit Gefühlen empfindlich ein auf einen eher seltenen Spezialfall.
- Gefühle sind nicht reduziert auf diese seelische Verletzungsgeschichten und ach-was-mir-in-der-Vergangenheit-Schlimmes-widerfuhr, sondern Gefühle sind vor allem auch das, was einem Menschen in seinem ganz konkreten Alltag jetzt und heute tatsächlich begegnet. In The Journey von Brandon Bays wird eine Art Opferhaltung gepflegt, anstatt selbst die volle Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Es braucht vielleicht manchmal auch Vergebung, aber vor allem braucht es das Erkennen und Wahrnehmen des eigenen Anteils an den Geschehnissen.
- Nicht die Gefühle sind Ursache für körperliche Krankheitserscheinungen, sondern bestimmte Ideen. Die Gefühle transportieren die Ideen lediglich. Und auch die Blockade der Gefühle ist nicht die Ursache sondern verhindert lediglich, dass die Ideen nach oben kommen können.
- Die körperliche Entspannung in Bezug auf das Krankheitssymptom ist nicht die Folge der Aufdeckung der seelischen Ursachen, sondern genau umgekehrt ist die Entspannung in das Krankheitssymptom hinein – das Aufgeben der inneren Widerstände gegen das Körperphänomen – die Grundlage dafür, dass die eigentlich relevanten und maßgeblichen Gefühle in den Fluss kommen und das führt dann zur Erkenntnis der Ursachen.
Das Verwirrende ist, dass mit der Methode von Brandon Bays bestimmte blockierte Gefühlssituationen zwar aufgedeckt werden und Gefühle in den Fluss kommen, aber die Verknüpfungen zu den Auswirkungen, so wie sie Brandon Bays herstellt, stimmen dann nicht. Sie sind nicht plausibel. Es gibt keinen wirklichen inhaltlichen Zusammenhang zwischen gerade diesem Körperphänomen und der angenommenen Ursache, die ja bei Brandon Bays meistens in einer seelischen Verletzung der Vergangenheit besteht.
Geht man innerlich in seine Vergangenheit oder in den Austausch mit einer anderen Person oder in eine frühere seelische Verletzung, dann entfernt man sich von den Gefühlen der Gegenwart. Man sucht andere Gefühlssituationen auf. Der Schlüssel zur Lösung bestimmter Krankheitserscheinungen liegt aber in genau jenen Gefühlen, die genau jetzt und in der Gegenwart mit dieser Krankheitserscheinung verbunden sind. Die Krankheitserscheinung selbst löst Gefühle aus und um die geht es. Da sind doch schon genügend Gefühle! Warum noch innerlich reisen, um noch zu weiteren, anderen Gefühlen zu kommen?
Die eigentliche Kette ist die:
- Aufgeben der inneren Widerstände gegen die Krankheitssymptome
- Die mit dem Symptom verbundenen Gefühle kommen hoch
- Ursache wird erkannt
Bei Brandon Bays ist es genau anders herum:
- Man reist innerlich zu irgendwelchen vergangenen Gefühlen, Situationen, Verletzungen
- Diese Gefühle werden als Ursachen angenommen
- Die Entspannung auf der körperlichen Ebene des Krankheitssymptoms
Brandon Bays schreibt zwar darüber, dass es darum geht, sich mit bestimmten Gefühlen zu konfrontieren, aber sie selbst hat genau das nicht getan. Im Gegenteil entwickelte sie eine Menge Aktionismus, der sich lediglich als Passivität und in-sich-versenken tarnte:
- sie stellte ihre Ernährung um
- machte Tiefenentspannung und in-sich-versenken
- lief zu irgendwelchen Therapeuthen
- machte irgendwelche Psycho-Gymnastik wie Visualisierung, inneres Lagerfeuer usw.
Übersetzt heißt das: „Ich muss etwas tun. Ich muss etwas unternehmen, damit es weggeht. Ich muss jetzt The Journey machen.“
Aber genau das sind Kompensationsreaktionen zu den Gefühlen, die eigentlich für die Erkenntnis der Ursachen zuständig sind – die Gefühle, die einfach durch das Ereignis an sich da sind. Dieser Aktionismus kompensiert und unterdrückt genau die eigentlich relevanten Gefühle und sucht sich irgendetwas anderes leichter Verdauliches, irgendwelche seelischen Verletzungen und was-mir-doch-alles-Schlimmes-widerfahren-ist. Es wird ein harmloser Scheingrund gesucht, weil zur Konfrontation mit der Wahrheit, so wie sie ist, die Bereitschaft fehlt.
Das Zulassen von Gefühlen braucht alles das absolut überhaupt nicht: Gefühle bewegen sich von alleine. Gefühle wollen hoch und ins Bewusstsein kommen. Gefühle zulassen ist ein vollkommen passiver Vorgang, wie er passiver gar nicht sein könnte. Alles was es dazu braucht, ist:
- sich öffnen
- innere Widerstände aufgeben
Und dann kommen sie, die Gefühle.
Gerade in einer absoluten Krisen-Situation ist es einer der Schlüssel, sich mit der Situation so wie sie ist zu konfrontieren, ohne jeglichen Aktionismus und ohne jegliche Methoden wie The Journey, die eine Illusion von Kontrolle und die-Situation-im-Griff-haben erzeugen. Sich der Situation so wie sie ist zu öffnen und jegliche innere Widerstände gegen die Situation so wie sie ist aufzugeben.
Und das führt dazu, dass die inneren Teile der Psyche die Erkenntnisse und Lösungen nach oben bringen.
Dazu muss man nichts wissen. Dazu muss man nichts können. Dazu muss man nur den Mut haben, sich seinem Leben zu stellen, so wie es gerade ist.
Entspannung kann natürlich eine Hilfe sein, wenn sie dazu führt, dass innere Widerstände aufgegeben werden.
Gut, aber wie ist die Sachlage bei Brandon Bays?
Die Wahrheit ist immer einfach. Die Wahrheit ist immer naheliegend. Und die Wahrheit ist immer erreichbar.
Als Brandon Bays der Tumor diagnostiziert wurde, war ihre erste Reaktion:
„Wieso geschieht das denn mir? Ich habe doch immer so gesund gelebt mit gesunder Ernährung und Sport?“
Und dann trifft sie die Entscheidung, nur noch frisch gepresste Obstsäfte zu sich zu nehmen, um ihrem Körper die Heilung zu erleichtern.
Diese ersten Reaktionen auf eine Krankheitserscheinung sind zentrale Schlüssel zur Erkenntnis der Hintergründe einer Erkrankung. Denn sie sind eine direkte Fortsetzung des Verhaltens, welches das Problem überhaupt erst hervorgebracht hat:
Die Anstrengungen, gesund zu leben. Offensichtlich hatte Brandon Bays das sehr gründlich getan, wenn mit Auftauchen des Tumors nur noch frisch gepresste Obstsäfte als Ernährung übrig blieben.
Aber ist das die Wahrheit? Müssen wir uns tatsächlich erst anstrengen, gesund zu leben und uns gesund zu ernähren? Ist das spontane, natürliche Verhalten des Körpers, wenn man ihn sich selbst überlässt, etwa nicht gesund?
Genau dort liegen die eigentlichen Ursachen für den Tumor von Brandon Bays, der ja nicht zufällig gerade im Bauch auftauchte.
Das andere, was im Verlauf von Lagerfeuergesprächen und in-sich-selbst-versenken zum Vorschein kam, ist lediglich eine Scheinlösung, die dann einen Grund lieferte, die inneren Verspannungen gegen die Krankheitserscheinung zu lösen und damit konnte der Körper seine Arbeit der Heilung tun.
Es bleibt natürlich die Frage: Wieso ging der Tumor weg, wenn das Problem auf rationaler Ebene nicht gelöst wurde?
Dafür wären zwei verschiedene Antworten möglich, für die das Buch aber nicht ausreichend Informationen liefert:
- Entweder wurde das Problem zwar nicht rational aber dafür auf der Verhaltensebene gelöst: Das würde bedeuten, Brandon Bays hat ihre Anstrengungen, sich gesund zu ernähren und gesund zu leben (und nur noch frisch gepresste Obstsäfte zu sich zu nehmen) eingestellt. Das Problem wurde dann ohne rationale Beteiligung gelöst und ohne das Wissen, dass das die eigentliche Lösung des Problems ist.
- Oder das Problem wurde gar nicht gelöst sondern lediglich verlagert. Dann wird es auf die eine oder andere Weise immer wieder erscheinen, bis es gelöst wird.
Dazu passt auch, dass sich Brandon Bays nach Überwindung des Tumors selbst fragte, was sie nun eigentlich darüber schreiben soll. Genau! Sie hatte nämlich eigentlich nichts zu schreiben, weil das Problem auf rationaler Ebene nicht wirklich gelöst wurde (ganz egal, ob es auf der Verhaltensebene vielleicht doch gelöst wurde). Wenn ein Problem auf rationaler Ebene gelöst wird, dann weiß man sehr klar, was man darüber schreiben kann. Dann muss man nichts konstruieren.
Und zu all dem passt auch die völlig unplausible Geschichte von dem Mann, der zu Brandon Bays kam nachdem er seinen Krebs bereits überwunden hatte und der nachträglich eine Erklärung wollte. Hier werden völlig willkürlich Dinge miteinander verknüpft.
Wären die Gefühle der Wut gegen Gott die Ursache für den Krebs gewesen, dann hätte er sie ja lösen müssen, um den Krebs zu überwinden – und dann hätte er die Lösung gekannt.
Natürlich ist es gut, solche Wutgefühle herauszulassen. Aber wie kann man Krebs überwinden und erst nachher die eigentliche Lösung vollziehen? Das passt gar nicht zusammen. Da wird eine Menge zusammenkonstruiert.
Es sind auch nie die Gefühle selbst die Ursache für die Krankheit und auch nicht die Blockade der Gefühle. Die Blockade der Gefühle verhindert lediglich, dass die Ideen sich zeigen können – die falschen Elemente einer falschen Weltsicht – welche die eigentliche Ursache darstellen. Die Gefühle sind hier lediglich das Transportsystem für jene falschen Ideen.